Erste Sätze, geklaute Texte
Was mich vom Schreiben abhielt, wovon wir genug haben und worauf wir uns nach fünf Monaten im Trump-Land freuen
“Ilsebill salzte nach.” Wer weiß, was es mit diesem Satz auf sich hat? Ohne das Grübeln darüber, wie ich nach fünf Wochen diesen Blogeintrag beginnen sollte, hätte ich es nicht gewusst. Beim Nachdenken über den Einstieg in den Text erinnerte ich an eine bestimmte Situation: Auf der Rückfahrt von der Redaktion hörte ich im Autoradio einen Beitrag über einen Wettbewerb. Die Hörer wurden dazu aufgerufen, den schönsten ersten Satz in der deutschsprachigen Literatur einzureichen. Ich habe an der Ausschreibung nicht teilgenommen und nicht verfolgt, wie er ausgegangen ist.
Heute Abend, mich mit dem Einstieg in den Blogeintrag quälend, erinnerte ich mich an diesen Wettbewerb und fragte google, der mich zu dem Wikipedia-Eintrag weiterleitet: “Der schönste erste Satz war ein im Jahr 2007 veranstalteter Wettbewerb der Initiative Deutsche Sprache und der Stiftung Lesen.” Dank des Wikipedia-Eintrags weiß ich jetzt, dass “Ilsebill salzte nach.” als der schönste erste Satz in der deutschsprachigen Literatur gekürt wurde. Wegen der Begründung, mit der dieser Satz eingereicht wurde. Aus welchem Roman dieser Satz stammt, wer diesen Satz warum eingereicht hat: Das könnt ihr alle auf Wikipedia nachlesen.
Die beschriebene Situation im Auto liegt übrigens, ganz anders als ich es empfand, nicht vier oder fünf, sondern 18 Jahre zurück.
Der erste Satz muss sitzen!
Zurück zum ersten Satz. Der erste Satz muss “sitzen“. Er soll neugierig machen auf das, was noch folgt, soll die Lust zum Weiterlesen wecken. Unzählige Male habe über den ersten Satz gegrübelt, geschrieben, gelöscht, überlegt, geschrieben, gelöscht. So auch heute Abend.
Schreiben ist eine Qual! Lohnt es sich, dass ich mich im Sabbat-Jahr dieser Qual aussetze und Euch (wer alles ist eigentlich in diesem “Euch” vereint?) von unserer Reise erzähle? Wo wir überall waren, was wir gesehen, gehört, erlebt haben?
Die Zweifel hielten mich vom Schreiben ab. Und auch die Frage, ob es nicht in Anbetracht all der katastrophalen Entwicklungen, die Trump verursacht, angebracht ist, über Banalitäten zu schreiben, wie etwa darüber, dass mich der Lärm der Generatoren inmitten der Natur sehr stört oder ich den Anblick vermüllter und von Schrott und Unrat gefüllter Grundstücke - anders als zu Beginn der Reise durch die USA - nicht mehr als bizarr und pittoresk empfinde. Hinzu kam, dass der Herr Doktor und ich krank wurden und es lange blieben (verschleppte Erkältung). Als es mir besser ging, biss ich mich fest an einer Recherche zu einem Plagiat in einem Buch. Eigentlich wollte ich während der Zeit im Ein-Raum-Haus auf vier Rädern Abstand zu meinem Beruf gewinnen. Nachdem ich einen Tipp auf das Plagiat erhalten hatte, konnte ich mich aber nicht zurückhalten. Ich wollte es mir nicht entgehen lassen, den Autor, den ich schon seit vielen Jahren für einen Hochstapler halte, hochgehen zu lassen.
Zum Ärger von Herrn Doktor habe ich sehr viel Zeit mit Recherchieren verbracht, sehr viele Telefonate geführt, sehr viele Emails geschrieben und bis spät in der Nacht gechattet, im Internet recherchiert und all das, was ich an Informationen zusammengetragen habe, ausführlich dokumentiert. Das Material habe ich schließlich dem Verlag geschickt. Das Ergebnis: Der Verlag hat schnell reagiert und nach internem Prüfen meiner Dokumentation das Buch aus dem Programm genommen. Ich konnte mir also auf die Schulter klopfen und mir sagen: “Super gemacht, Canan!” Das habe ich denn auch gemacht.
Erst Lust, dann Frust
Die Freude über mich als Investigativ-Journalistin hielt allerdings nicht lange an, denn es gab kaum eine mediale Resonanz auf die Pressemitteilung des Verlags. Nicht einmal die Medien, in denen Rezensionen dieses Buches erschienen sind, berichteten darüber, dass das Buch aus dem Handel genommen wurde. Dass ein Buch vom Handel genommen wird, das kommt übrigens ganz, ganz selten vor. Deswegen finde ich es hier erwähnenswert.
Dass ich mich aufgerafft habe, einen neuen Blogeintrag zu schreiben, hängt mit den Nachrichten zusammen, die ich in den vergangenen Tagen von einigen Freundinnen und Freunden erhielt. “Was ist los?”, “Alles in Ordnung bei Euch?”, “Muss ich mir Sorgen machen?”, “Lebt Ihr noch?”, “Ich vermisse die Berichte von UCOH”.
Also gibt es jetzt erstmal diese Zeilen als Lebenszeichen von uns: Ich bin wieder ganz gesund, Uli ist auf dem Weg der Besserung, wir sind in den vergangenen fünf Wochen viel herumgekommen - von New Mexiko nach Arizona, von dort nach Kalifornien, dann weiter nach Nevada und wieder zurück nach Kalifornien.

Unser Camper parkt in einem Wohngebiet direkt am Napa River, wir haben eine schöne Aussicht zum Fluss. Dass ein paar Meter von unserem Stellplatz vor genau einem Jahr zwei junge Frauen erschossen wurden, das hat Uli beim Spaziergang im Gespräch mit zwei Männern erfahren. Sie saßen vor dem Gebäude direkt neben dem Tatort, der mit vielen Blumen geschmückt ist. Die beiden Männer übrigens waren Teilnehmer einer Sitzung der anonymen Alkoholiker. Die Gruppe scheint recht groß zu sein; nach und nach füllten sich alle der zahlreichen Parkplätze rund um das Gebäude.
Staye tuned!
Was es mit einer Pyramide in der Halbwüste Arizonas auf sich hat, was Todd macht, wenn er genug Geld verdient hat, warum ein Örtchen in New Mexiko den seltsamen Namen Truth or Consequences trägt und was sich in der Flaschenpost befand, die ich am Strand von Monterey fand, in die es viele wegen der Cannery Raw hinzieht, und über die Straße der Ölsardinen, wie der Titel des Romans von John Steinbeck auf Deutsch heißt, über all das und anderes schreibe ich auch noch ein paar Zeilen.

Bleibt gesund, munter und versucht, Euch von der politischen Lage in nah und fern nicht runterziehen zu lassen. Dem Herrn Doktor und mir gelingt es leider immer weniger in diesem Land mit dem ver-rückten Präsidenten und seinen viel zu vielen Anhängern.
Ihr Lieben, soweit fürs Erste von mir und von uns.
Ps: ich gratuliere dir zu deinem Erfolg in Bezug auf den Plagiatsbetrug. Danke für dein Engagement. Es ist ja alles nicht so einfach… 💐❤️😍😘🍀
Auch ich bin super erleichtert und glücklich, nach WhatsApp-Nachrichten endlich auch per Blog wieder von dir / euch zu lesen. Manchmal - und nicht nur auf Reisen, physischen wie literarisch-journalistischen - kann der erste Satz bzw. die die aus ihm resultierende Blockade einen in Teufelskreise schicken. Schön, dass du ihn gefunden hast. Also den Satz.
Ach und danke für deine Mühen, jenen Plagiator und sein Tun erfolgreich aufgedeckt zu haben. Wenn sich nicht wenigstens einige wehren …. sieht man ja an dem von euch bereisten Land, wohin das führt.